Und was ist schief? Ist doch, was wir eben noch für gerade gehalten haben, bereits dann schief, wenn wir unseren Standpunkt auch nur ein kleines bisschen verändern. Liegt die vermeintliche Objektivität also ganz allein im Auge des Betrachters? Oder ist gar die Frage, ob gerade oder schief gänzlich irrelevant?

Muss eine Zielgerade immer gerade sein? Und ist das Gegenteil von gerade überhaupt schief – nicht vielleicht doch auch verwinkelt oder gebogen? Ist der gerade Weg der richtige, oder bekomme ich auf verzweigten Umwegen nicht eben gerade viel mehr zu sehen? (Vom krummen Weg einmal ganz abgesehen.) Wer etwas gerade heraus sagt, gilt entweder als ehrlich, als mutig oder als vorlaut, und wer geradlinig Dinge angeht, gilt zumeist als zielstrebig. Für Fehler können wir gerade stehen und sie manchmal sogar wieder geradebiegen. Wenn etwas gerade passiert, dann geschieht es in diesem Moment. Manche Dinge schaffen wir gerade so eben noch und zu gerne rufen wir manchmal aus „gerade jetzt erst recht...“

Ich kann es Ihnen gerade heraus sagen, das Wort gerade beschreibt weit mehr als ein geometrisches Element – es ist Ausdruck einer Lage, einer Richtung, eines Zustands, eines Zeitpunkts oder einer Haltung. Und gerade hat in seinen Facetten viel mehr mit dem zu tun, was wir tagtäglich in unserem Theater machen, als Sie vielleicht gerade denken.

Wir machen Theater – gerade hier und gerade jetzt. Theater für diese Stadt, für diese Region. Wir machen Theater in einer Zeit, in der sich die Welt gerade neu zu ordnen scheint. Mit unserem Spielplan beziehen wir Stellung und zeichnen thematische Linien, die alles andere als gerade sind – aber gerade das macht sie oft spannend. Mit unserem Spielplan laden wir Sie ein, diesen Linien geradewegs zu folgen, sich Themen, Stoffen, Klängen und Bewegungen zu nähern, die Ihre Perspektive auf das, was gerade ist oder gerade schief hängt, bestätigen oder gehörig durcheinander rütteln wird.
Die Unmittelbarkeit spielt dabei eine besondere Rolle – denn Theater passiert gerade in dem Augenblick, in dem Sie es wahrnehmen. So flüchtig die Kunstform ist – so nachhaltig und geradlinig ist oft ihre Wirkung.

Ich freue mich gerade auf Sie.
Ihre Cathérine Miville | Intendantin