Schablonenhaftes Entführer-Trio - Gießener Anzeiger
„Die fetten Jahre sind vorbei“ im TiL vom jungen Publikum begeistert aufgenommen
„Cool, das ist echt cool, ehjjjj!“ - dieser spontane Kommentar einer jungen Zuschauerin sagt eine Menge darüber aus, was man auf der TiL-Studiobühne zu erwarten hat. Nach dem erfolgreichen Film „Die fetten Jahre sind vorbei“ mit Julia Jentsch und Daniel Brühl in den Hauptrollen ist dort zum Auftakt der Spielzeit das gleichnamige Theaterstück von Gunnar Dreßler in der Regie von Carsten Fuhrmann zu sehen. Bei der Premiere am Freitagabend klatschte das überwiegend junge Publikum begeistert Beifall - und den hatten sich alle Beteiligten auch redlich verdient.
Genau wie der Film erzählt das Stück von einer Gruppe junger Leute, die ein bisschen gegen die Ungerechtigkeit der Welt rebellieren und den reichen Bonzen einen Denkzettel verpassen wollen. Mit Engagement und sehr viel Herzblut spielen Marie Bauer (Jule), Corbinian Deller (Peter) und Pascal Thomas diese idealistischen, reichlich naiven Weltverbesserer, die nachts in Villen einbrechen und allerlei Verwüstungen anrichten. Mitgehen lassen sie allerdings nichts. Je länger man dem Trio zuschaut, desto stärker meint man, in einer überambitionierten Schultheateraufführung zu sitzen. Gewiss, die drei jungen Darsteller geben ihr Bestes, aber aus den schablonenhaft gezeichneten Figuren der Stückvorlage lassen sich kaum glaubwürdige Charaktere machen. Auch die sprachliche Ausdrucksfähigkeit der Möchtegern-Revoluzzer ist von „Scheiße“, „Wichser“ und nochmal „Scheiße“ rasch ausgeschöpft.
Udo Herbster hat die Bühne mit hohen, verschiebbaren Wänden ausgestattet, die sich verschieben oder auch bemalen lassen, wenn sich etwa Jule von Jan beim Zimmerrenovieren helfen lässt. In der Wohngemeinschaft liegen eine Matratze und etliche Klamotten am Boden; dagegen wird das Ambiente der Villa durch Ledersofa, Teppich und diverse Beistelltischchen verdeutlicht. Letzter Schauplatz ist eine spartanisch mit Tisch und Stühlen bestückte Berghütte in Tirol, wohin das Trio den Topmanager Hardenberg entführt hat.
In der Rolle des gefangenen Klassenfeindes, der sich zum Erstaunen seiner Entführer als Alt-68er entpuppt, lässt Christian Lugerth die Jungen alt aussehen. Hier zeigt sich ganz der Bühnenroutinier, der dem anfänglich gönnerhaften Topmanager interessante Facetten abzugewinnen versteht und wenigstens ein wenig Witz aufblitzen lässt. Gerade im ideologischen Aufeinanderprallen von Einst und Jetzt, gerade da, wo sich die aufmüpfigen Jungen über den in SDS-Erinnerungen Schwelgenden lustig machen könnten, lockt Lugerth seine Gegenspieler mit kleinen Seitenhieben aus der Reserve.
Wie die Premiere zeigte, war das junge Publikum Feuer und Flamme. Weitere Möglichkeiten, die „Fetten Jahre“ zu sehen, sind am 24. September und 9. Oktober jeweils um 20 Uhr im TiL.
Thomas Schmitz-Albohn, Gießener Anzeiger, 19.09.2011