Bei der „Langen Theaternacht“ feierten mehr als 500 Besucher mit Musik, Schauspiel und schrägen Einlagen
Die Wiedervereinigung war das Thema der "Langen Theaternacht" - und die Besucher kamen am Wochenende in Strömen zur "Perlenhochzeit Ost und West". Los ging's auf der Bühne des Stadttheaters mit der vor wenigen Tagen angelaufenen Komödie "Der Vorname", anschließend sprudelten im ganzen Haus die Einfälle bei zahlreichen Veranstaltungen verschiedenster Art. Die Theaterleute performten gut gelaunt unter anderen Umständen und die Besucher hatten die Qual der Wahl, um ihre persönliche Programmauswahl zu schaffen.
Vor dem Haus standen als Zeitakzente ein betagter Polo und ein Trabi, blumengeschmückt, und weckten Erinnerungen ans einstige Erstaufnahmelager und den Mauerfall vor 30 Jahren. Schilder mit der Aufschrift "Zutritt verboten" hatten keine Bedeutung, freundliche dienstbare Geister öffneten bereitwillig oder wiesen die verschlungenen Wege zu einem anderen Ereignis.
Das Angebot des Abends war höchst vielfältig und entsprach zum einen den Bedürfnissen der über 500 Besucher der "Nacht" und, wie sich herausstellte, durchaus auch den Neigungen der Mitarbeiter. Eine leichte thematische Orientierung zog sich durch alles, genau wie spürbare gute Laune - irgendwie schien an diesem Abend mehr als sonst möglich zu sein.
So konnten die Besucher im Foyer "Einigkeit! Hymnen des wiedervereinten Deutschlands" hören. Kapellmeister und Chorleiter Martin Spahr legte mit seinen Akteuren eine kraftvolle und stimmungsstarke Vorstellung hin. Richtig heiter war dann der Auftritt von Natascha Jung und Michaela Wehrum. Sie trugen ein Potpourri aus der "Lustigen Witwe" vor, Evgeni Ganev begleitete das bestens aufgelegte Duo mit Engagement und Kompetenz. Kleine Attraktionen am Rande ergänzten das Angebot, etwa die von Lena Michel betreute "Flitterwochenlounge". In einer Ecke war eine Fotomaschine aufgebaut, die Besucher konnten in einer reichlichen Auswahl von Requisiten verschönernde Teile auswählen und sich damit schmücken. Die Auswahl umfasste Klamotten und witzige Accessoires. Dann ab vor die Linse, Haltung eingenommen - Blitz! - und an der Seite kam das Farbfoto raus. Die Maschine lief ohne Pause.
An mehreren Orten des Hauses sorgten die "Schmachtigallen" für heitere Sangesfreuden, "Eine Liaison vereint in Dur und Moll" hieß eins ihrer Programme. Am Rande des fröhlichen Gewühls fanden viele angeregte Gespräche statt, Mutige erhielten auch von den Künstlern freundlich Antwort.
Auch hinter dem Eisernen Vorhang war Musike angesagt. Die Schauspielerinnen Johanna Malecki und Anne-Elise Minetti sangen stimmungsvolle Schlager, und ihr Kollege Roman Kurtz sowie Antje Tiné von Opernchor erfreuten gesanglich als Udo Lindenberg und Begleiterin: witzig in Stil und Sound.
Chefdramaturg Harald Wolff betrachtete in seiner Performance-Vorlesung "Aufnahmezustand" die Absurditäten von Migrationsdiskursen in Sachen Biologie und Gesellschaft. Er klärte über die Geheimpläne der Regierung zur "großen Umschneckung" auf, legte offen, was die Brüder Grimm mit den Umweltschutzrichtlinien der EU zu tun hatten (alles, aber auch alles) und wies nach, dass Deutschland schon immer Einwanderungsland war, lange bevor es eine Nation wurde. Sehr treffsicher und heiter, aber auch ernstzunehmend: nah an ziemlich bösem Kabarett.
Das knackige Finale fand dann im Foyer statt: Bei Discomusik und farbenfrohen Lichtspielen konnte man seine restliche Energie vernichten: sehr angenehm und stimmig, das Ganze.
Heiner Schultz, 05.11.2019, Gießener Anzeiger