Ein starkes Solo: Schauspieler Isaak Dentler mit einer Bearbeitung von Goethes Werther-Roman auf der taT-studiobühne
„Werthers Leiden“: Was für eine traurige Geschichte! Dabei war es bei dieser Bearbeitung eines Stücks Weltliteratur natürlich klar, dass es schlecht ausgeht. Trotzdem war die Traurigkeit da. Nach Ende der Vorführung mochte zunächst niemand aus dem Publikum die taT-Studiobühne verlassen, alle blieben im Dunklen sitzen, wie das manchmal auch im Kino geschieht. Mit seiner Solo-Performance war dem Frankfurter Schauspieler Isaak Dentler eine bemerkenswerte Klassiker-Adaption gelungen.
Dabei hatte alles grell und nervig begonnen. „J’aime l’amour a trois“ kreischte eine französische Sängerin in Endlosschleife auf Band. Doch Werther sieht die Sache ein wenig anders. Isaak Dentler bläst einen Luftballon auf, malt einen Kopf drauf und lässt den Ballon platzen. Peng: Das dramatische Ende ist hier gewissermaßen schon vorweggenommen.
Selbstmordwelle ausgelöst
„Am 4. Mai 1771. Wie froh bin ich, dass ich weg bin. Bester Freund, was ist das Herz des Menschen“. Hier setzt Dentler mit dem Originaltext von Johann Wolfgang von Goethe ein. Ein 22 Jähriger schreibt in Ich-Form die Geschichte eines unglücklich verliebten jungen Mannes auf, der an seinen Gefühlen zugrunde geht. Das Buch wurde ein internationaler Bestseller, so würde man heutzutage sagen. Das Erscheinen im Jahr 1774 löste sogar eine Selbstmordwelle aus, so sehr konnten sich die jungen Menschen damals mit dem Schicksal Werthers identifizieren.
Mit seinem Solo gelingt es Isaak Dentler, den Werther auch jungen Menschen des 21. Jahrhunderts nahezubringen. Im schwarzen Gehrock gekleidet, muss sich der Protagonist erst einmal in der Ferne zurechtfinden. Die Tage wollen nicht vergehen, 3., 4., 5. Mai, es geschieht nichts, 10. Mai, endlich wieder ein Eintrag. „Ich bin allein und freue mich meines Lebens in dieser Gegend, die für solche Seelen geschaffen ist wie für die meine“. Als er diese Worte spricht, sitzt Isaak Dentler unter einer Decke. Das mögen übertriebene Gesten sein, genauso wie das Werfen von Karamellbonbons der Marke „Werther’s Echte“ ins Publikum oder wie die Rutschpartie quer über die Bühne. Andererseits: War der Werther nicht genau so – exaltiert und ein bisschen übertrieben?
Dann kommt der 16. Junius: „Ich habe eine Bekanntschaft gemacht, die mein Herz näher angeht“. Werther hat seine Lotte kennengelernt und weiß nicht mehr ein noch aus. „Sonne, Mond und Sterne, ich weiß oft nicht, ob Tag oder Nacht ist“. Werther fertigt einen Scherenschnitt seiner Angebeteten an, Dentler tut’s ihm gleich und fügt noch eine Kreidezeichnung hinzu, auf der Lotte in ganzer Gestalt zu sehen ist. Doch der Wendepunkt ist bald erreicht. Lottes Verlobter Albert kommt von einer Reise zurück, und Werther beschließt, nun seinerseits weiterzuziehen … Das Ende ist bekannt. Werther vergeht vor Liebeskummer, hinzukommen Alkoholexzesse und Ärger mit den Vorgesetzten. „Wenn wir uns selbst fehlen, fehlt uns alles“, schreibt Werther noch im August. Die Depressionsschübe werden immer länger, im Dezember ist es soweit: Der Unglückliche setzt seinem Leben mit einem Schuss ins rechte Auge ein Ende. Musikeinspielung dazu: „Sugar Man“ von Sixto Rodriguez. Sehr passend, sehr emotional.
Begeisterter Applaus für das einstündige Solo, das dem Schauspieler Höchstleistungen abverlangte: beim Sprechen, beim Spielen, beim Sich-Verausgaben. Und noch ein dickes Plus geht an diese Werther-Aufführung: Das sachkundige Aussuchen von Zitaten aus dem 130-Seiten-Werk ermöglichte dem Publikum einen intensiven Einblick in dieses Stück Weltliteratur.
100 Mal in Frankfurt
Ein Wort zum Schauspieler: Isaak Dentler ist mit seiner Goethe-Bearbeitung schon zum dritten Mal zu Gast im taT. In Frankfurt hat er den „Werther“ sogar 100 mal gezeigt, was seinen Erfolg des Stücks kenntlich macht. Und auch in Gießen ist Dentler kein Unbekannter: Nach seiner Schauspielausbildung in Hamburg nahm er sein erstes Engagement 2004 beim Stadttheater Gießen an, wo er unter anderem als Don Carlos und Torquato Tasso auf der Bühne stand. Seit 2009 ist er festes Ensemblemitglied des Frankfurter Schauspiels. Parallel zu seiner Theaterarbeit ist Isaak Dentler regelmäßig im TV zu sehen, unter anderem spielt er seit 2014 fest in der Ermittlertruppe um Wolfram Koch und Margarita Broich im ARD-„Tatort“ aus Frankfurt. Er arbeitet regelmäßig als Sprecher für den Rundfunk und in den verschiedensten Medien, seine Stimme ist in zahlreichen Hörspielen und Radio-Features zu hören.
Ulla Hahn-Grimm, 25.09.2018, Gießener Anzeiger